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Patriotismus im SportKein Korb für Deutschland

Kommentar von Jonas Kähler

Nach dem Gewinn der EM ist Deutschland im Basketballfieber. Gut so, denn das Team steht nicht für nationalen Stolz, sondern für Solidarität.

Daniel Theis (links) und Isaac Bonga verhalfen dem Team zum Meistertitel Foto: Stefanos Kyriazis/imago

W enn die Gesellschaft zerrüttet ist und die Fronten im Land unüberwindbar scheinen, dann wurde schon oft gehofft, dass sportlicher Erfolg alle wieder vereint. Man denke an das „Sommermärchen“ 2006 oder den WM-Titel im Herrenfußball 2014. Nationalfarben auf jeder Straße, Deutschlandflaggen ans Autofenster geklemmt, endlich mal wieder stolz sein auf sein Land. Po­li­ti­ke­r*in­nen sitzen bei Spielen auf den Tribünen und halten hochgestochene Reden darüber, wie toll die jeweilige Na­tio­nalmannschaft das Land vertritt.

Nationalteams werden so häufig zur Projektionsfläche einer vermeintlichen nationalen Einigkeit. Auch die Sport­le­r*in­nen betonen im Nachgang oft, was für eine Ehre es sei, das eigene Land zu vertreten und den Titel „nach Hause“ zu holen. Am Sonntag gewannen die deutschen Basketballer nun in einem furiosen Finalspiel in Riga die Europameisterschaft.

Aber die deutsche Basketballnationalmannschaft erzählt keine Geschichte des vereinigten Volkes, sondern eine von zwischenmenschlichem Zusammenhalt, Solidarität und dem Wert langfristiger Beziehungsarbeit. Das mag etwas kitschig klingen, in erster Linie ist es aber erfrischend und trifft auf diese Mannschaft vollkommen zu. Und es fasziniert auch die Zuschauer*innen.

Millionen Menschen fieberten vor den Fernsehern mit, unter den 14- bis 49-Jährigen überragten die Einschaltquoten den ewigen und angefochtenen Spitzenreiter „Tatort“ um Längen, mehr als doppelt so viele Menschen dieser Altersgruppe schauten das Finalspiel.

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Die Basketballer könnten nun für die nächste Lobhudelei auf die nationale Stärke herhalten: „Wir“ sind Europameister. Die rassistischen Vorfälle gegen Kapitän Dennis Schröder zu Beginn des Turniers sind da schnell vergessen. Ebenso, dass insbesondere migrantisierte oder PoC-Spieler*innen als Erstes dafür hinhalten müssen, wenn der Erfolg ausbleibt. Zum Glück zeigen sie aber, dass sie für etwas ganz anderes stehen. Und der Erfolg wurde seit Jahren behutsam aufgebaut.

Schlüssel für den Erfolg

Nach einem krachenden Vorrunden-Aus bei der WM 2019 forderte der frühere Bundestrainer Gordon Herbert ein „Commitment“ zum Team. Wer für die Nationalmannschaft auflaufen möchte, könne dies nicht nur gelegentlich tun, neben anderen Jobs im Verein in Europa oder der NBA. Herbert forderte Zusagen für mehrere Jahre, mit dem Ziel, eine wirkliche Gemeinschaft zu etablieren. Das war und ist der Schlüssel zum Erfolg dieses Teams.

Dennis Schröder, Franz Wagner, Isaac Bonga, Daniel Theis, Johannes Thiemann, Maodo Lô und noch weitere bilden seit jeher den festen Kern des Teams. Und haben gezeigt, dass sie nicht nur eine zusammengewürfelte Truppe individuell starker Spieler sind. „Für mich war das wie eine Klassenfahrt mit meinen Freunden – und nebenbei spielt man Basketball“, sagte Isaac Bonga, der nicht nur zum besten Verteidiger des Turniers gewählt wurde, sondern im Finale mit 20 Punkten auch offensiv entscheidend zu dem 88:83 Sieg gegen die Türkei beitrug.

„Dieses Team ist einfach so geil. Das geht so weit über den Court hinaus“, sagte Franz Wagner nach dem Finale. Das sind alles Brüder.“ Bei der Ehrung des All Star Teams trug Wagner das Trikot seines wirklichen Bruders Moritz, der das Turnier mit einem Kreuzbandriss verpasste, in der Videoschalte aus Kalifornien in diesem Moment aber zu Tränen gerührt war.

Die Spieler sind nahbar und zeigten sich während des Turniers auch verletzlich. Dass ein komplettes Team die Verbindung zueinander derart betont, ist im sonst so von individuellem Konkurrenzkampf und Ego getriebenen Leistungssport selten. Doch gerade die Gruppendynamik, die Chemie zwischen den Spielern zeichnen diese Mannschaft aus und machen sie zu einem der ganz großen Teams der Sportgeschichte.

Zusammenhalt und Freundschaft

Nach Spielende lagen sich etwa Dennis Schröder und Daniel Theis, bereits in Jugendzeiten Mitspieler, weinend in den Armen. In beinahe jedem Interview sagten die Spieler, dass sie den Titel auch für und mit dem verletzten Johannes Voigtmann oder dem aufgrund von Krankheit das gesamte Turnier ausgefallenen Trainer Alex Mumbrú gewonnen haben.

Ohne Niederlage im Turnier dürfen sich die deutschen Basketballer nun zeitgleich Europa- und Weltmeister nennen. Die Stars um Schröder, Wagner und Theis bewiesen konstant ihre Klasse, doch Spiel für Spiel übernahmen immer andere die Verantwortung und trugen das Team zum Sieg. Wer diese Mannschaft während und auch nach den Spielen gesehen hat, spürt sofort den Zusammenhalt und die Freundschaft.

Das verbindende Element ist aber nicht ihre Nationalität, sondern die geteilte Liebe zum Basketball und das Vertrauen ineinander. Der Volkssport Fußball könnte hiervon noch einiges lernen.

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19 Kommentare

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  • "Aber die deutsche Basketballnationalmannschaft erzählt keine Geschichte des vereinigten Volkes, sondern eine von zwischenmenschlichem Zusammenhalt, Solidarität und dem Wert langfristiger Beziehungsarbeit. "

    Das liegt aber in erster Linie daran, dass Basketball im Gegensatz zu Fußball kaum Popularität genießt. Fußball begeistert Millionen von Menschen, nicht in Deutschland. Die Stars der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kennt fast jeder mit Namen oder hat sie zumindest mal gehört. Bei Basketball hingegen wird es schwierig: wer in der Republik kennt Dennis Schröder, Franz Wagner, Isaac Bonga oder Daniel Theis? Um eine Story vom "vereinigten Volk" zu erzählen braucht es einen Volkssport. Dazu gehört Basketball, zumindest in diesem Land, nicht.

    • @Tom Tailor:

      „Die Bonga sind unter uns."



      (Umberto Eco: „Wie man im Fernsehen moderiert" - 1987)

  • Liebe zum Basketball ist genauso überflüssig wie Liebe zur Nation. Liebe liegt bekanntlich im Auge der Betrachtenden und sie macht bekanntlich blind; blind für die Welt und die Nöte der anderen Menschen; blind für die strukturellen Probleme und ihre systematischen Ursachen; blind für die Notwendigkeit und Möglichkeiten für alle Menschen und zukünftige Generationen zu einem besseren Ort zu machen.

    Ach! Nebenbei propagiert auch der Basketball als Wettkampfsport das liberale Leistungsprinzip und die sozialdarwinistische Aufteilung in Sieger und Verlierer.

  • Sport mit der Nationalmannschaft ist immer Länderkampf! Egal ob Fußball, Basketball oder Tennis! Jedes Land hat seine negative Vergangenheit, immer nur das Lande darauf zu differenzieren zeigt nur wie verbittert man selbst ist! Man muss das Land auch positiv sehen immer nur negativ hilft niemanden!

  • Genau dieses "committen" auf eine Gemeinschaft (hier eine Mannschaft) und ihren Zweck (hier der Erfolg als Mannschaft) ist das, was erfolgreich und wünschenswert ist. Die Mannschaft legt fest, was sie committen und zu welchem Zweck und wie sie das erreichen will.

    Jetzt kommt die große gedankliche Transferleistung und man ersetze das Wort Mannschaft durch Nation. Oder ersetze Mannschaft durch Bevölkerung. Dann wird einem klar, dass diese Art von (fiktiver) Gruppenidentität der Kitt ist, der einen Laden zusammen hält. Zu viel von diesem Kitt kleistert alles zu, daraus wird Nationalismus - nicht gut, nicht erfolgreich. Zu wenig von diesem Kitt lässt lose verbundene Individuen zurück, die kein gemeinsames Ziel haben - nicht gut, nicht erfolgreich.

    Wir alle, die hier leben, müssen uns immer wieder neu committen. Aber ohne dem geht's nicht. Ob dieses Team nun Mannschaft genannt wird, Nation oder Volk, ist völlig Wurscht am Ende. Dazu gehört eben auch, Ziele zu definieren. Dafür haben wir Parlamente und Regierungen.

  • "Das verbindende Element ist aber nicht ihre Nationalität, sondern die geteilte Liebe zum Basketball und das Vertrauen ineinander." Das ist wohl der Wunsch Vater/Mutter des Gedankens. Die Spieler und die begeisterten Zuschauer sehen das deutlich anders. Muss man eigentlich grundsätzlich alles relativieren oder schlecht reden in Bezug auf Nation und Deutschland, wenn man "links" denkt?

  • Nationalen Stolz....na und !



    Alle Menschen auf der Welt dürfen stolz auf ihre Nation sein,nur nicht wir Deutschen ,was soll das!?



    Wenn wir Deutschen für all das gute stehen kann man zurecht stolz sein.



    Hört endlich auf es immer gleich ins dunkel Deutschland zu ziehen.

    • @Dirk Sommer:

      Danke, so sehe ich das auch: Ich bin bei vielen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Themen eher links eingestellt und wähle auch die Grünen…aber dennoch liebe ich dieses Land sehr und lasse mir meinen Patriotismus weder von den AfDlern wegnehmen noch von vermeintlich besonders progressiven Menschen madig machen.

    • @Dirk Sommer:

      Es haben mich schon viele sportliche Leistungen - aus Individual-Sport und Manschaftssport - begeistert. Sportler aus aller Frauen und Herren Länder. Aber...



      „... jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.”



      (Arthur Schopenhauer)

  • Scheinbar hat es der Mannschaft Spass gemacht, das trägt wahrscheinlich auch mehr als Miesepetrigkeit und das ständige "berechnen" der Chancen.



    Außerdem hat ja Frau Schröder ihrem Mann empfohlen jetzt auch zu gewinnen, ... hat er jedenfalls gesagt.

  • www.instagram.com/p/DDXc7ypRT6L/

    Dennis würde einfach nur nicht danach gefragt bei dem Turnier, die letzten Turniere hat er sehr klar gemacht wie stolz er darauf ist sein Land zu repräsentieren.

  • "Ebenso, dass insbesondere migrantisierte oder PoC-Spieler*innen als Erstes dafür hinhalten müssen, wenn der Erfolg ausbleibt." Ist tatsächlich im Basketball sehr selten Thema, da es als ausländischer Sport gesehen wird und somit die deutschen Tugenden (die nichtweißen Spielern gerne abgesprochen werden) nicht so relevant sind. Außerdem sieht jeder die Qualität Schröders auf dem Feld, da kann er zurecht Respekt einfordern.

  • Die Basketballnationalmannschaft hat klare Hierarchien, der alte Bundestrainer ließ die Spieler sich auf das Team und die Hierarchie "committen", Schröder ist der klare Boss und wer später dazu sollte/wollte wurde von ihm rausgedrückt (Maxi Kleber). Gerade diese Geschlossenheit hat den brutalen Teamspirit und Glaube an die Einheit geschaffen, die die Einzelspieler des Teams immer wieder Krisen meistern lässt. So Aussagen nach dem Turnier wie "lasst uns so lange zusammenspielen, wie wir wollen" zeigt das schon auf. Der Erfolg gibt dem Konzept natürlich Recht, ich hoffe für die Zukunft man kann sich wieder etwas öffnen.

  • Diese Mannschaft ist die Nationalmannschaft , repräsentiert also auch Deutschland und als Deutscher bin ich megastolz, wie viele andere Sportbegeisterte.

  • Beisst sich schon ein bisschen. Wenn die Forderung von Gordon Herbert, sich zur Nationalmannschaft zu "committen" außer Acht gelassen wird, um nur ein vorgebliches Funteam zu feiern.



    Vielleicht wäre es angesichts der Vielfalt in dem Team sogar gut gewesen, etwas mehr Fahnen im Bild zu haben.

    Abgesehen davon, tolle Truppe und super Leistung!

    • @fly:

      Dass sie sich zur Nationalmannschaft committen sollten, war doch so gemeint, dass sie zu Spielen und Trainings auch greifbar sein sollten und nicht der Verein alleine im Vordergrund steht

  • Ein seltsamer Kommentar. Trotz allem ist dieses Team nicht als Vereinigung von Basketballfreunden zustande gekommen, sondern als Nationalmannschaft. Und es ist doch schön, wenn Menschen hierzulande sich mit dieser Gruppe identifizieren und unser Land von ihr repräsentiert wird.

    • @Ulrich Hartmann:

      Genau so ist es.

  • "Nationalteams werden so häufig zur Projektionsfläche einer vermeintlichen nationalen Einigkeit,"

    Stimmt.

    Genau das ist auch dieser Artikel, in dem die Basketballmannschaft als Projektionsfläche ins Auge springt.

    Er zeigt, wie sich der Autor die Nation und ihre Repräsentanten wünscht.

    Würden einfach nur ein paar Freunde mit Liebe zum Sport sehr gut Basketball spielen, würden nicht "Millionen" vor dem Fernseher "mitfiebern".

    So funktionieren fiktive Gruppenidentitäten nun mal.